Atemkristall


1

Du darfst mich getrost
mit Schnee bewirten:
so oft ich Schulter an Schulter
mit dem Maulbeerbaum schritt durch den Sommer,
schrie sein jüngstes
Blatt.


2

Von ungetraumtem geätzt,
wirft das schlaflos durchwanderte Brotland
den Lebensberg auf.

Aus seiner Krume
knetest du neu unsre Namen,
die ich, ein deinem
gleichendes
Aug an jedem der Finger,
abtaste nach
einer Stelle, durch die ich
mich zu dir heranwachen kann,
die helle
Hungerkerze im Mund.


3

In die Rillen
der Himmelsmünze im Türspalt
preßt du das Wort,
dem ich entrollte,
als ich mit bebenden Fäusten
das Dach über uns
abtrug, Schiefer um Schiefer,
Silbe um Silbe, dem Kupfer-
schimmer der Bettel-
schale dort oben
zulieb.


4

In den Flüssen nördlich der Zukunft
werf ich das Netz aus, das du
zögernd beschwerst
mit von Steinen geschriebenen
Schatten.


5

Vor dein spates Gesicht
allein-
gängerisch zwischen
auch mich verwandelnden Nächten,
kam etwas zu stehn,
das schon einmal bei uns war, un-
berührt von Gedanken.


6

Die Schwermutsschnellen hindurch,
am blanken
Wundenspiegel vorbei:
da werden die vierzig
entrindeten Lebensbäume geflößt.

Einzige Gegen-
schwimmerin, du
zählst sie, berührst sie
alle.


7

Die Zahlen, im Bund
mit der Bilder Verhängnis
und Gegen-
verhängnis.

Der drübergestülpte
Schädel, an dessen
schlafloser Schläfe ein irr-
lichternder Hammer
all das im Welttakt
besingt.


8

Wege im Schatten-Gebräch
deiner Hand.

Aus der Vier-Finger-Furche
wühl ich mir den
versteinerten Segen.


9

Weissgrau aus-
geschachteten steilen
Gefühls.

Landeinwärts, hierher-
verwehter Strandhafer bläst
Sandmuster über
den Rauch von Brunnengesängen.

Ein Ohr, abgetrennt, lauscht.

Ein Aug, in Streifen geschnitten,
wird all dem gerecht.


10

Mit erdwärts gesungenen Masten
fahren die Himmelwracks.

In dieses Holzlied
beißt du dich fest mit den Zähnen.

Du bist der liedfeste
Wimpel.


11

Schläfenzange,
von deinem Jochbein beäugt.
Ihr Silberglanz da,
wo sie sich festbiß:
du und der Rest deines Schlafs —
bald
habt ihr Geburtstag.


12

Beim Hagelkorn, im
brandigen Mais-
kolben, daheim,
den späten, den harten
Novembersternen gehorsam:

in den Herzfaden die
Gespräche der Würmer geknüpft —:

eine Sehne, von der
deine Pfeilschrift schwirrt,
Schütze.


13

Stehen, im Schatten
des Wundenmals in der Luft.

Für-niemand-und-nichts-Stehn.
Unerkannt,
für dich
allein.

Mit allem, was darin Raum hat,
auch ohne
Sprache.


14

Dein vom Wachen stößiger Traum.
Mit der zwölfmal schrauben-
förmig in sein
Horn gekerbten
Wortspur.

Der letzte Stoß, den er führt.

Die in der senk-
rechten, schmalen
Tagschlucht nach oben
stakende Fähre:
sie setzt
Wundgelesenes über.


15

Mit den Verfolgten in spätem, un-
verschwiegenem,
strahlendem
Bund.

Das Morgen-Lot, übergoldet,
heftet sich dir an die mit-
schwörende, mit-
schürfende, mit-
schreibende
Ferse.


16

Fadensonnen
über der grauschwarzen Ödnis.
Ein baum-
hoher Gedanke
greift sich den Lichtton: es sind
noch Lieder zu singen jenseits
der Menschen.


17

Im Schlangenwagen, an
der weißen Zypresse vorbei,
durch die Flut
fuhren sie dich.

Doch in dir, von
Geburt,
schäumte die andre Quelle,
am schwarzen
Strahl Gedächtnis
klommst du zutag.


18

Harnischstriemen, Faltenachsen,
Durchstich-
punkte:
dein Gelände.

An beiden Polen
der Kluftrose, lesbar:
dein geächtetes Wort.
Nordwahr. Südhell.


19

Wortaufschüttung, vulkanisch,
meerüberrauscht.

Oben
der flutende Mob
der Gegengeschöpfe: er
flaggte—Abbild und Nachbild
kreuzen eitel zeithin.

Bis du den Wortmond hinaus-
schleuderst, von dem her
das Wunder Ebbe geschieht
und der herz-
förmige Krater
nackt für die Anfänge zeugt,
die Königs-
geburten.


20

(Ich kenne dich, du bist die tief Gebeugte,
ich, der Durchbohrte, bin dir untertan.
Wo flammt ein Wort, das für uns beide zeugte?
Du—ganz, ganz wirklich. Ich—ganz Wahn.)


21

Weggebeizt vom
Strahlenwind deiner Sprache
das bunte Gerede des An-
erlebten—das hundert-
züngige Mein-
gedicht, das Genicht.

Aus-
gewirbelt,
frei
der Weg durch den menschen-
gestaltigen Schnee,
den Büßerschnee, zu
den gastlichen
Gletscherstuben und -tischen.

Tief
in der Zeitenschrunde,
beim
Wabeneis
wartet, ein Atemkristall,
dein unumstößliches
Zeugnis.


作者
保罗·策兰

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